Eine Reise des Herzens: Besuch des Teesetzling-Projekts in Ruanda
Oikocredit Afrika-Mitarbeiter Elikanah Ng’ang’a gibt sehr persönliche Einblicke in seine Kindheit und seine Arbeit.
In diesem Blogbeitrag nimmt uns Elikanah Ng'ang'a, Referent für Social Performance & Capacity Building für Oikocredit Afrika, mit auf eine Reise von seinem Zuhause in Kenia nach Ruanda und berichtet über das Oikocredit-Schulungsprojekt „Rwanda Tea Seedlings“.
Als ich sieben Jahre alt war, zogen wir auf eine Farm in der Nähe des Aberdare Nationalparks in Kenia. Dieser Ort war für mich das Paradies. Er lag in den Bergen von Aberdare, nur 180 Kilometer von Nairobi entfernt, wo mein Vater arbeitete. In Kenia (und anderen afrikanischen Ländern) findet man die meisten Arbeitsplätze in städtischen Gebieten, aber das Einkommen meines Vaters allein reichte nicht aus, um unsere Familie zu ernähren. Die Farm war in der Lage, uns zu ernähren und uns das nötige Zusatzeinkommen zu verschaffen. Das bedeutete, dass meine Mutter auf der Farm arbeiten und sich gleichzeitig um uns Kinder kümmern musste. Aber mein Vater bemühte sich, einmal im Monat nach Hause zu seiner Familie zu kommen. Und als Kinder freuten wir uns darauf, ihn zu sehen – und auf die Geschenke, die er uns mitbrachte.
Eines Abends kam er sehr spät und mit Schlamm bedeckt nachhause. Als ich ihn fragte, was passiert war, erklärte er mir, dass diese monatlichen Fahrten von der Stadt zu unserem Bauernhof auf dem Land sehr anstrengend seien. Er sagte, dass der Bus wegen der schlechten und noch nicht ausgebauten Straßen stundenlang im Schlamm stecken geblieben war und alle Fahrgäste aussteigen und schieben mussten, sodass alle mit Schlamm beschmutzt wurden. Ein anderes Mal musste er im Dunkeln durch den Wald laufen, wo er auf eine Elefantenherde traf. Zum Glück hatte er von seinem Vater gelernt, wie man Elefanten erschreckt, und er konnte unbeschadet vorbeigehen.
Mein Vater nannte diese Reisen seine „Reisen des Herzens“ („Journeys of the heart“). Reisen des Herzens sind nicht leicht zu machen, aber sie sind notwendig. Es sind Reisen, die man aus Liebe und Sorge um die Menschen unternimmt, zu denen man unterwegs ist. Meine kürzliche Geschäftsreise nach Ruanda fühlte sich wie eine dieser Reisen an. Aufgrund der Verbreitung der Omikron-Variante war sie keine einfache: Ich musste mich vor meiner Abreise aus Nairobi testen lassen, am Flughafen von Kigali in Ruanda erneut getestet werden und dann 24 Stunden in Quarantäne verbringen. Ich hatte gerade über die Geschichte meines Vaters nachgedacht, als unser Fahrzeug auf einem der vielen Hügel des Nyaruguru-Distrikts im Süden Ruandas stecken blieb. Schließlich mussten wir den Rest des Weges zu Fuß zurücklegen, weil eine kleine Brücke aus Holzstämmen nachgegeben hatte und wir nicht mehr weiterfahren konnten.
Das Schulungsprojekt „Rwanda Tea Seedlings“
Der Zweck meines Besuchs war das ruandische Teepflanzenprojekt. Auch das Projekt selbst hatte keine leichte Reise hinter sich. Das Fundraising dafür begann 2019, als der westdeutsche Förderkreis von Oikocredit den größten Teil der benötigten 140.000 Euro aufbrachte. Damit sollte die Fortpflanzung von zwei Millionen hochwertigen Teesetzlingen unterstützt werden, die an 2.000 einkommensschwache Bäuerinnen und Bauern verteilt werden sollten. Die Verteilung der Setzlinge wurde mit zwei Kooperativen geplant: Katecogro und Cothemuki. Beide Kooperativen liefern Tee an unseren Partner Karongi Tea Factory.
Als Covid-19 im Jahr 2020 eintrat, beschlossen wir, das Projekt trotz der neuen Herausforderungen fortzusetzen. Für die Aufzucht von Setzlingen braucht man nicht viele Leute, und die ruandische Regierung hatte die Fortsetzung von landwirtschaftlichen Aktivitäten erlaubt. Wir wussten auch, dass die Setzlinge etwa 18 Monate brauchen würden, um zu reifen, und wir hofften, dass Covid-19 bis dahin längst Geschichte sein würde. In den Jahren 2020 und 2021 entwickelten sich die Setzlinge gut, und bis Ende 2020 hatten wir 500.000 Setzlinge verteilt. Die größere Herausforderung bestand jedoch darin, die 2.000 Bäuerinnen und Bauern mit neuen Fähigkeiten im Teeanbau und anderen Aspekten wie dem Umgang mit dem Klimawandel und der Ernährungsunsicherheit vertraut zu machen – und dies im Einklang mit den staatlichen Vorschriften.
Wir passten unsere Schulungen den Gegebenheiten der Pandemie an: Die Bauern und Bäuerinnen wurden in kleinen Gruppen unter Einhaltung der Gesundheitsprotokolle geschult. Wir führten die Schulungen auch im Freien und auf den Feldern durch. Ein federführender Landwirt, der die Schulungen koordinierte, war der Schlüssel zu diesem neuen Ansatz. Letztendlich konnten wir alle unsere Landwirt*innen erreichen, was ein großer Erfolg war.
Dies war meine letzte Reise, um die finale Phase der Verteilung von Teesetzlingen abzuschließen, die im November 2021 begonnen hatte. Das Projekt verlief wie geplant, mit Ausnahme eines Gebiets im Karongi-Distrikt, das trotz der Regenfälle in anderen Teilen Ruandas trocken geblieben war. Etwa 600 unserer Bäuerinnen und Bauern kommen aus diesem Gebiet und hatten ihre Setzlinge noch nicht erhalten, als ich die Reise antrat. Die Managerin von Katecogro war schockiert und erzählte mir: „In dieser Region regnet es immer im November und Dezember, jedes Jahr! Aber dieses Jahr nicht.“ Sie meinte, das sei wahrscheinlich eine Folge des Klimawandels.
In dieser Nacht dachte ich an die vielen Landwirt*innen, die ihr Land vorbereitet hatten, auf Regen warteten und sich darauf freuten, die Teesetzlinge zu pflanzen. Sie taten mir sehr leid. Dann geschah es: Es begann zu regnen! Bald erhielt ich einen Anruf der Managerin: „Morgen, komm vorbereitet“, sagte sie aufgeregt, „Wir werden mit der Verteilung der Teesetzlinge an die verbleibenden Bauern und Bäuerinnen beginnen! Der Regen ist da.“ Am nächsten Tag war ich also bei der Managerin und pflanzte mit einer Gruppe aufgeregter Landwirt*innen Teesetzlinge.
Die Ziele des Teeprojekts
1) Züchtung und Verteilung von 2 Millionen hochwertigen Setzlingen an 2.000 wirtschaftlich benachteiligte Bäuerinnen und Bauern
2) Die Bäuerinnen und Bauern werden befähigt, Teeplantagen zu bewirtschaften und andere Aspekte wie Klimaschutz und Ernährungssicherheit zu berücksichtigen.
3) Die beiden Kooperativen werden befähigt, in Zukunft ihre eigenen Setzlinge zu produzieren.
Eines der Ziele dieser Reise war es, zu bewerten, ob wir unsere Projektziele erreicht hatten. Dies geschah durch Gespräche mit dem Management der beiden Kooperativen und der Teefabrik über die Entwicklung der Setzlinge und durch Besuche bei den Bauern und Bäuerinnen, die die Setzlinge erhalten hatten. Mit den Landwirt*innen wurden Interviews geführt, um zu erfahren, was sie gelernt hatten und wie zufrieden sie mit dem Projekt waren.
Nachdem ich gehört und beobachtet habe, was während meiner Reise vor sich ging, kann ich mit Zuversicht sagen, dass wir unsere Ziele und noch viel mehr erreicht haben. In der Entwicklungszusammenarbeit konzentrieren wir uns manchmal zu sehr auf die Zahlen. Aber es ist gut, über die Zahlen hinauszugehen, und so habe ich es genossen, die Bäuerinnen und Bauern kennenzulernen und Geschichten wie die von Jeannette zu hören.
Jeannette, eine Mutter von sieben Kindern, sprach mit mir über ihre Leidenschaft für das Projekt. Sie erzählte mir, dass sie viele Jahre lang als Teepflückerin gearbeitet hatte und nie davon geträumt hätte, selbst eine Teeplantage zu besitzen. Aber durch unser Projekt inspiriert, beschloss sie, dass 2020 endlich das Jahr sein könnte, in dem sie über das Pflücken hinaus in die Landwirtschaft einsteigen könnte. Sie nutzte alle Erkenntnisse und die Unterstützung durch das Projekt – einschließlich der Setzlinge –, um auf ihrer Farm eine Teeparzelle anzulegen. Sie erzählte mir auch, wie sie gelernt hat, wie man Kompost herstellt und wie man Mischkulturen anbaut, um sicherzustellen, dass die Familie genug zu essen hat, während sie auf die Reife der Teepflanzen wartet. Auf ihrem Hof baut sie auch Bohnen an und hält eine Kuh.
Jeannette erzählte mir auch, dass seit der Einführung des Teeanbaus im Distrikt auch das Abbrennen von Holzkohle, das die Regierung wegen der damit verbundenen Umweltschäden untersagt hat, zurückgegangen ist. Sie erklärte mir, dass es vor dem Aufbau der Teefarmen weniger Einkommensquellen gab und dass es in den ländlichen Gemeinden üblich war, Bäume zu fällen und sie zu verbrennen, um daraus Holzkohle zu machen, die dann in den Städten verkauft wurde. Aber jetzt, wo es mehr Teeplantagen in der Gegend gibt, haben die Gemeindemitglieder alternative Einkommensquellen und die Holzkohleverbrennung ist zurückgegangen. Dadurch werden viele Bäume gerettet, und das ist gut für die Umwelt. Jeannette sieht jetzt eine gute Zukunft für ihre sieben Kinder, denn die Teesträucher werden ihr auch in den nächsten 30, 40 oder sogar 50 Jahren ein Einkommen sichern.
Ruandas Vergangenheit und Zukunft
Es war an der Zeit, die Teeplantagen zu verlassen und zurück in die Hauptstadt Kigali zu fahren, um einen weiteren Covid-Test zu machen, damit ich zurück nach Nairobi fliegen konnte. Doch zuvor hatte die Genossenschaft freundlicherweise ein Mittagessen für uns, die Landwirt*innen und Jean-Marie, unseren ruandischen Berater, der seit zwei Jahren mit den Landwirt*innen zusammenarbeitet, organisiert. Als wir uns zum Mittagessen setzten, konnten wir unsere Masken abnehmen, und ich konnte das Lächeln und die Freude der Bauern und Bäuerinnen sehen. Ein Teil ihrer Freude kam von der Gewissheit, dass es einen Markt für ihren Tee gibt. Ich erinnerte mich auch daran, dass unser Partner Karongi Tea Factory kürzlich einen Vertrag über die Lieferung von Tee nach Deutschland unterzeichnet hatte – eine der vielen Früchte unseres Projekts.
Wenn Sie schon einmal mit einer Gruppe von Afrikaner*innen an einem Tisch gesessen haben, wissen Sie, dass dort viele Geschichten erzählt und viel gelacht wird. Als ich das Lachen an diesem Tisch beobachtete, konnte ich nicht umhin, daran zu denken, dass dies vor über zwei Jahrzehnten nicht möglich gewesen wäre. Diese Gegend war nicht immer grün und üppig mit Teeplantagen. Vor 27 Jahren war dieser Ort vor allem mit Trauernden und Leidenden gefüllt, aber jetzt ist er mit dem Lachen von Menschen voller Hoffnung erfüllt. Wenn ich an diese dunklen Jahre des Völkermords denke und daran, was dieses Land durchgemacht hat, erfüllt mich das mit großer Traurigkeit. Aber ich empfinde auch große Freude, wenn ich sehe, wie viel sich in diesem Land verändert hat, und wenn ich unglaubliche Geschichten höre, die von Veränderung und Hoffnung zeugen.
Auf der vierstündigen Fahrt nach Kigali durch dieses „Land der tausend Hügel“ kamen wir an einer der traurigsten Völkermord-Gedenkstätten vorbei. Diese Gedenkstätte ist besonders erschütternd, weil die Morde an diesem Ort 1997 stattfanden, drei Jahre nach dem ruandischen Völkermord von 1994. Der Ort erinnert an ein Massaker an Oberschüler*innen. Die Mörder*innen hatten die Schule besucht, um Mitglieder einer ethnischen Gemeinschaft zu töten. Als sie die Schüler*innen aufforderten, sich zu trennen, um die Angehörigen dieser ethnischen Gruppe zu identifizieren, weigerten sich die mutigen Schüler*innen, sich zu trennen, da sie alle Ruander*innen seien. Die frustrierten Mörder*innen beschlossen, alle Schüler*innen abzuschlachten.
Als wir an dieser Gedenkstätte vorbeikamen, konnte ich nicht anders, als an die Tapferkeit dieser Schüler*innen zu denken. Ihr Mut und ihre Solidarität bleiben ein Symbol und ein Versprechen an die Menschen in Ruanda, dass sie nie wieder aufgrund ihres Stammes getrennt werden. Ohne Trennung und Hass innerhalb der ruandischen Gemeinschaften könnten die Unterdrücker*innen nicht gewinnen. Ich fragte mich: Könnte die Welt davon lernen und sich davon inspirieren lassen? Könnte die Welt sich gegen Armut und Ungleichheit vereinen? Könnten wir uns gegen den Klimawandel vereinen und die kommenden Generationen retten?
Dann dämmerte es mir: Die Welt ist wie die Menschen, die ich auf dieser Reise begleitet habe. Da sind die Bäuerinnen und Bauern, die mir erzählten, dass sie dank der Schulung mehr Bäume pflanzen. Da ist der Oikocredit-Berater, der sie nicht nur sensibilisiert und geschult hat, um den Teeanbau rentabel zu machen, sondern auch, um ihn nachhaltig zu betreiben. Dann gibt es Oikocredit und gleichgesinnte Organisationen, die sich an der Wirkung orientieren und deren Anleger*innen ihr Geld sowohl für Investitionen als auch für Beratung und Schulungen zur Verfügung stellen. Das ist die Welt, an die ich gedacht habe, und wenn wir unseren Beitrag leisten, werden auch andere ihren Beitrag leisten. Wir können nicht einfach warten, bis sich die Welt für uns ändert. Wie diese Gruppe von Gymnasiast*innen, die den Mut aufbrachte, die Zukunft zu verändern, können wir alle den Mut aufbringen und Veränderungen für die kommenden Generationen bewirken.
Nach einem negativen Covid-Test in Kigali konnte ich den Rückflug nach Nairobi antreten. Als wir in Nairobi landeten, war ich sehr zufrieden mit der Arbeit, die wir gemeinsam geleistet hatten, und dankbar für:
- den westdeutschen Förderkreis von Oikocredit, der den Großteil der Mittel aufgebracht hat
- unsere Social Performance Innovation-Abteilung, die das Projekt geplant hat
- die Berater*innen, die für die Schulung der Bauern und Bäuerinnen gesorgt haben
- unseren Partner Karongi Tea Factory, der dafür gesorgt hat, dass hochwertige Teesetzlinge produziert wurden
- und für die zwei Kooperativen, die die bedürftigen Landwirt*innen ausgewählt hatten und die Logistik unterstützt haben
Es mussten so viele Dinge gut laufen, damit dieses Projekt erfolgreich sein konnte. Jetzt müssen sich die Setzlinge an ihren neuen Boden anpassen und den Landwirt*innen für die nächsten 30 oder mehr Jahre Einkommen bescheren. Wir werden dies in den kommenden Jahren überwachen, um zu sehen, wie gut sich die Setzlinge angepasst haben.
Die beiden Kooperativen sind nun in der Lage, Jahr für Jahr Setzlinge zu produzieren. Sie werden ein wichtiges Bindeglied für Generationen von neuen Teebäuerinnen und -bauern in Ruanda sein. Schätzungen zufolge wird jede Genossenschaft in den nächsten fünf Jahren jährlich 1,5 Millionen Setzlinge benötigen, um künftigen Landwirt*innen den Einstieg in den Teeanbau und den jetzigen die Expansion zu erleichtern.
Als meine Reise des Herzens endet, öffne ich das Tor zu meinem Zuhause; ich weiß, dass meine Reise, genau wie die meines Vaters, von Liebe motiviert war. Liebe für meine Arbeit und für die Möglichkeit, Projekte wie dieses zu unterstützen, die noch viele Jahre lang positive Wirkung haben werden.
Archiv > 2022 > März
- 31. März 2022 - Coole Konzepte für Energie auf dem Land
- 24. März 2022 - Ehrenamtliche Dolmetscher*innen für Bildungsprojekt gesucht!
- 22. März 2022 - Drei Jahre MyOikocredit!
- 08. März 2022 - Die Stärkung wirtschaftlich benachteiligter Frauen als Auftrag von Oikocredit
- 04. März 2022 - Eine Reise des Herzens: Besuch des Teesetzling-Projekts in Ruanda